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Hansjörg Hofrichter (15. Februar 1942 – 1. Dezember 2018) zum Gedenken

07.02.2019

Mit Hansjörg Hofrichter hat eine große Persönlichkeit, ein unerschütterlicher Streiter für die Sache der von Rudolf Steiner begründeten Waldorfpädagogik und die daraus weltweit entstandene Schulbewegung den Erdenplan verlassen. Diese geradezu schicksalhafte Verbindung entstand schon in seiner Zeit als Schüler der „Urwaldorfschule“ in Stuttgart.

Hansjörg Hofrichter und ich haben schon in den 1980er Jahren, zunächst im Vorstand des Schulvereins der Nürnberger Rudolf Steiner-Schule, vor allem aber seit deren Neukonstituierung im Oktober 2000 im Vorstand der RUDOLF UND CLARA KREUTZER-STIFTUNG zusammengewirkt, immer mehr und mehr freundschaftlich verbunden.

Ein bezeichnendes Zeugnis seines Wirkens erhielt ich von einem Vorsitzenden der Nürnberger SPD-Stadtratsfraktion, der halb bewundernd, halb genervt sagte: “Euer Hofrichter lässt einfach nicht locker!“ Ja, er konnte recht unbequem sein. Denn Hansjörg Hofrichter verhandelte mit der Stadtverwaltung und allen Stadtratsparteien Jahr für Jahr wegen der städtischen Zuschüsse, die er stets für erhöhungswürdig hielt. Er studierte den dicken Wälzer des städtischen Haushaltsplans und konnte schon mal auf Haushaltsansätze hinweisen, die seiner Meinung nach nicht so dringlich waren wie die Unterstützung der freien Schulen. Bei den Haushaltsberatungen saß er dann häufig auf der Besuchertribüne. Das wussten alle. Kam dann ein passabler Beschluss dabei heraus, wendeten sich viele Stadtratsmitglieder ihm zu, manche hielten den Daumen hoch. Diese Verhandlungen führte er bis zuletzt für alle freien Schulen in Nürnberg, übrigens auch im Umland und für Erlangen und Wendelstein.

Eine herausragende Eigenschaft von ihm war es, Argumente, hinter denen sich Bequemlichkeit oder „das haben wir noch nie gemacht“ zu verbergen suchten, hartnäckig, mit starker Überzeugungskraft und unbeirrbarem Willen zu entkräften. Das war nicht einfach Beharren auf seinem Standpunkt, sondern beruhte auf guter Vorbereitung und Sachkenntnis, klarer, situationsbezogener Gedankenführung. Vieles hat er so erreicht!

Ein großes Vermächtnis für uns ist die von ihm initiierte Gründung der ASTORIA-STIFTUNG im September 2016 als Treuhandstiftung unter dem Dach der RUDOLF UND CLARA KREUTZER-STIFTUNG. In den Satzungszielen steht, was ihm wichtig war. Das kann jeder nachlesen. Bei der Gründungsfeier der FWS Regensburg stellte er dieses Stiftungsprojekt vor und begeisterte die anwesende Familie Vilser, deren Mitglieder jahrelang in der Nürnberger Rudolf Steiner-Schule als Lehrerin, Lehrer und in der Verwaltung tätig waren, derart, dass sie ein paar Tage später einen Brief an ihn schrieben mit dem Inhalt, sie hätten Grundstücke in Landshut, die sie der ASTORIA-STIFTUNG gerne schenkten. Diese Großzügigkeit hat ihn und uns alle unbeschreiblich dankbar berührt und bewegt. Dadurch sind wir nun in der Lage, das Schulgrundstück für die Neue Waldorfschule Dresden zu erwerben und im Erbbaurecht zu vergeben – wie er es wollte.

Ich möchte noch einen Aspekt beschreiben: Es ging ihm nicht nur darum, Geld für seine Stiftungsgründungen zusammenzutragen und dieses möglichst sinnvoll zu verteilen, sondern er setzte sich auch für die Qualität der pädagogischen Arbeit vor Ort ein. So sorgte er für die Neuauflagen von Lesebüchern für die Unter- und Oberstufe, nämlich „Der Sonne Licht“ und „Deutsch – ein Abenteuer“. Daraus entstanden die „Starterpakete“, mit denen unsere Stiftungen neu gegründete Waldorfschulen ausstatteten: Sie enthalten je nach Bedarf die Lesebücher, Farbstifte der „Astoria-Selection“, für die er einen Lizenzvertrag mit der Nürnberger Bleistiftfabrik LYRA ausgehandelt hatte, Flöten – alles muss hochwertig sein.

Seinem jahrelangen Kampf mit der Krankheit begegnete er mit unerschütterlichem Willen. Wir trafen uns regelmäßig zum gemeinsamen Frühstück, um uns zu besprechen, aktuelle Informationen auszutauschen, Sitzungen vorzubereiten. Wenn er aus seinem – geliebten - VW-Caddy stieg, mit zwei Krücken, immer eine Umhängetasche dabei, gefüllt mit Waldorfmaterial, strahlte er Zuversicht aus.

Was eine Ehe, eine Familie bedeuten kann, wenn es wirklich darauf ankommt, konnte ich bei meinen Besuchen in der Zeit, als er an sein Bett gefesselt war, erleben. Ursula Hofrichter war gewissermaßen rund um die Uhr damit beschäftigt, zu beschaffen, zu organisieren, Pflege einzurichten, das Haus umzuräumen. Die Kinder kamen, um zu helfen. So ermöglichte es die Familie ihm noch lange, mit seiner Willenskraft Verbindungen per Mail und Telefon aufrecht zu erhalten. So konnte er auch seine Vorstellungen in die Jahreshauptsitzung unserer Stiftungen einbringen. Die ersehnte Teilnahme an dieser Sitzung am 1. Dezember war nicht mehr möglich. Am Abend dieses Tages ging er über die Schwelle.

Er hatte viele Seiten, liebte Reisen, liebte Opern, liebte die Sprache. Er verehrte seinen schwäbischen Landsmann Hölderlin. So sorgte er als Geschäftsführer der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen für die Herausgabe eines Büchleins mit dem Titel „Komm ins Offene, Freund“, das ein Klassenspiel für die 12. Klasse über Hölderlins Leben enthält.

Die dritte Strophe des Gedichts „Hyperions Schicksalslied“ von Friedrich Hölderlin hat durch Rudolf Steiner eine wunderbare Metamorphose erfahren, die so treffend zu Hansjörg passt:

Höderlin schildert zunächst die Welt der Götter, der Himmlischen:

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen derGeist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

In der dritten Strophe beklagt der Dichter dann das Los von uns Menschen:

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.




Umdichtung der dritten Strophe durch Rudolf Steiner:

Uns ist gegeben
auf keiner Stufe zu rasten.
Es leben,
es streben
die tätigen Menschen
von Leben zu Leben
wie Pflanzen von Frühling
zu Frühling sich steigernd -
durch Irrtum zur Wahrheit hinauf,
durch Fesseln zur Freiheit hinauf,
durch Krankheit und Tod
zu Schönheit, Gesundheit und Leben hinauf.

Hansjörg Hofrichter hat eine weitere Stufe hinauf erklommen. Seine Passion für die Waldorfpädagogik ist sein Vermächtnis, das wir bewahren und bewegen werden.


Dr. Helmut Erhardt


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